Depressionen im Kontext von Chiropraktik, Ernährung und Lebensstil
Mikroben beeinflussen nachweislich die Art und Weise, wie wir denken. Was uns dieses Wissen nützt und welche Rolle die Chiropraktik dabei spielen kann, steht im Fokus dieses Artikels.
Forscher*innen des California Institute of Behavioral Neurosciences and Psychology fassten 2020 die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien über das Darmmikrobiom und seine Beziehung zu Depressionen zusammen. Die Ergebnisse zeigen laut der Forschungsgruppe, dass es einen starken Zusammenhang zwischen der Funktion des Mikrobioms und dem psychischen Wohlbefinden gibt.1
Mikroben im Darm bilden die Darmmikrobiota. Sie ist bei jedem Menschen aus über 1.000 Arten von Mikroorganismen und individuell anders zusammengesetzt. Im menschlichen Darm leben insgesamt etwa 100 Billionen Mikroben. Einfluss auf die Zusammensetzung hat ein Mix aus Genetik, Wachstum und ernährungsbedingter Entwicklung sowie die Orte, an denen wir leben und deren Nahrung und Wasser wir aufnehmen.
Zum Großteil besteht der individuelle Mikroben-Mix aus anaeroben Bakterien. Sie sorgen für zahlreiche Funktionen bei der Darmbewegung, der Verdauung der Nahrung und der Aufnahme von Nährstoffen. Da das Gehirn und der Darm im Austausch stehen, können sie die Funktionen des jeweils anderen beeinflussen. Somit kann die Darmmikrobiota auch Einfluss auf Stress, Angst, Depression und Kognition haben. Bei Depressionen kommt es beispielsweise häufig auch zu einer Dysregulation der nervalen Signalwege. Mehr als 20 Prozent der Patient*innen mit entzündlichen Darmerkrankungen (IBD) leiden so z.B. an Schlafstörungen und zeigen depressive Verhaltensweisen.2
Das Gehirn und der Darm
Die Wechselwirkung von Darm und Gehirn steht seit Langem auch im Fokus der Chiropraktik. Zum einen über das Modell der „Fünf Säulen der Gesundheit“, wovon eine der Ernährung gewidmet ist. Zum anderen auch über das Zusammenspiel des Nervensystems. Der Mensch verfügt über das vegetative und das somatische Nervensystem. Während wir das somatische System größtenteils willkürlich kontrollieren können – z.B. koordinieren wir mit diesem System unsere Motorik und wir steuern bewusst Bewegungen –, fungiert das vegetative Nervensystem als nahezu unabhängige Schaltzentrale mit drei unterschiedlichen Systemen:
- Sympathikus: Dieser Teil unseres Nervensystems versetzt den Körper in Stresssituationen oder bei Gefahr in Alarmbereitschaft. Wir fangen z.B. an zu schwitzen, unser Herz schlägt schneller und auch unsere Verdauung wird gehemmt. Die Nervenzellen des Sympathikus entspringen im Brust- und Lendenrückenmark. Wird er aktiviert, schickt er den Botenstoff Noradrenalin zu den Organen und sorgt für den höheren Puls, die geweiteten Pupillen und die gestoppte Verdauung.
- Parasympathikus: Auch bekannt als der Gegenspieler des Sympathikus, denn er bringt unseren Körper in einen Ruhezustand. Die Herzfrequenz sinkt, wir verdauen wieder. Die Neuronen des Parasympathikus entspringen zu 75 Prozent im Hirnstamm, die restlichen 25 Prozent im sakralen Rückenmark. Bei der Aktivierung setzt der Parasympathikus den Botenstoff Acetylcholin frei und leitet diesen an die Organe weiter – mit den beschriebenen Folgen.
- Das enterische Nervensystem: Dieses komplexe Geflecht aus Nervenzellen durchzieht nahezu den gesamten Magen-Darm-Trakt. Weitestgehend unabhängig steuert es unsere Verdauung und erhöht beispielsweise die Bewegung der Darmmuskulatur. Aber: Sympathikus und Parasympathikus beeinflussen die Nervenfasern des enterischen Systems!
Diese Wechselwirkungen berücksichtigen natürlich auch Chiropraktiker*innen. Sie sorgen durch das Lösen von Subluxationen speziell an der Brust- und Lendenwirbelsäule sowie im Becken dafür, dass unsere Verdauungsorgane möglichst störungsfrei arbeiten können.
Justierungen und Verdauung
Kommt es zu Subluxationen einzelner Wirbel, zum Beispiel im Brust- oder Lendenbereich, kann sich das unmittelbar auf den Verdauungstrakt auswirken. Denn die hier entspringenden Nerven versorgen die Verdauungsorgane mit Informationen und steuern so ihre Funktion. Auch die Nerven, die im oberen Halswirbelbereich verlaufen, z.B. der Nervus vagus, können sich bei Blockaden negativ auf den Magen-Darm-Trakt auswirken. Ist also der Informationsfluss durch eine Subluxation in einem Wirbelsäulensegment gestört, kommt der gesendete Impuls nur unvollständig oder womöglich gar nicht an. Mit anderen Worten, der Verdauungsprozess verläuft nicht so, wie er sollte.3
Aber auch Alltagsentscheidungen wie unsere Ernährungsweise oder Ausgleich durch Sport haben Einfluss auf unser Wohlbefinden (s. dazu auch https://chiropraktik-theill.de/gelassen-statt-niedergeschlagen-mentale-balance/). So verweisen die Forschenden des California Institute of Behavioral Neurosciences and Psychology auch auf das Zusammenspiel von Depressionen und Entzündungen als einen Teufelskreis, der sich gegenseitig anheizt. Entzündungen gelten als einer der Mitauslöser für die Entstehung von Depressionen. Sie lösen als Reaktion auf Stressfaktoren, die dem menschlichen Körper nicht angeboren sind, eine erhöhte Zytokinproduktion aus. Es kommt zu einem verstärkten Entzündungsprozess, wenn mehrere Faktoren, einschließlich genetischer Risiken, Krankheitserreger und Umweltstressoren, zusammenkommen. Schädliche Praktiken wie ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel können die Entzündungsreaktion unkontrolliert beschleunigen und die Depression verschlimmern.
Mit einer sogenannten Stuhltransplantation versuchten Wissenschaftler*innen aus Deutschland und der Schweiz zwei Patient*innen mit klinischer Depression zusätzlich zu behandeln. Dafür wurde das Mikrobiom eines gesunden Menschen übertragen. Bei beiden verbesserten sich die Symptome innerhalb der ersten vier Wochen. Das Resümee lautete dann, dass Interventionen ein Mikrobiom zwar schnell verändern können, aber es letztendlich einen gesunden Lebenswandel brauche, um ein Gleichgewicht dauerhaft zu erhalten.4
Hochwertige Nahrungsmittel, die die Qualität des Mikrobioms in unserem Magen-Darm-System verbessern, sollten also eine wichtige Rolle im täglichen Leben jedes Einzelnen spielen – ebenso wie der individuell zugeschnittene chiropraktische Behandlungsplan.
1 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7510518/
2 Mood and microbes: gut to brain communication in depression. Kelly JR, Keane VO, Cryan JF, Clarke G, Dinan TG. Gastroenterol Clin North Am. 2019;48:389–405.