Vom Sinnvollen sportlicher Bewegung
Autor: Prof. Dr. med. Gerhard Uhlenbruck, Köln
Unsere Sinnesorgane heißen so, weil sie in Bezug auf unser Leben Sinn machen. Dieser Sinn ist ein biologischer Sinn, der auch hilft, andere Sinngebungen zu erkunden. Alle Sinnesorgane stammen vom Gehirn ab und dienen dem Erkennen, damit das Überleben und Weiterleben eines Lebewesens möglich ist. Es gibt zwei Systeme von Sinnesorganen: Diejenigen, welche die uns umgebende Außenwelt erkennen, und solche, welche unsere Innenwelt erkennen, unser individuelles molekulares Selbst.
Die erste Gruppe erkennt, z.B. mit Auge und Ohr, welche Dinge in der Umwelt zu uns passen, aber auch welche Situationen und Mitmenschen zu uns passen, und welche Umgebung oder Lebensweisen nicht zu uns passen. Im letzteren Falle fühlen wir uns unpässlich und suchen uns mit Hilfe eben dieser Sinnesorgane und des Gehirns etwas zu uns Passenderes. Wenn wir zufällig Glück dabei haben, finden wir das exakt zu uns Passende.
Eine große Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Attraktivität des von uns Gesuchten, beispielsweise des sexuellen Partners. Hierbei kommt dem Geruchsempfinden eine besondere Bedeutung zu: Wer uns genetisch weniger ähnlich ist, den können wir gut riechen. Auf diese Weise kommen hohe Variationsmöglichkeiten in der Nachkommenschaft zustande, die das Überleben eines Teils dieser Population bei Infektionen wahrscheinlich machen.
Zwei Gruppen Sinnesorgane
Die zweite Gruppe von Sinnesorganen befindet sich im Körper eines Lebewesens, sie wird als Immunabwehr bezeichnet, denn sie erkennt zwischen dem Selbst und den nicht dem eigenen Organismus zugehörigen Fremdstrukturen; self and not-self. Sie besteht aus verschiedenen Immunzellen, ihren Helferzellen und im Blut befindlichen Antikörper, um körperfremde Invasoren, Bakterien, Viren und andere Parasiten, die sich mit Hilfe und auf Kosten des befallenen Organismus vermehren wollen, wirkungsvoll bekämpfen zu können.
Diese perfekt aufeinander eingespielte Abwehrbereitschaft nennen wir anti-entzündlich, im Gegensatz zu dem pro-entzündlichen und aktivierten Geschehen im Rahmen des Sich-wehren-müssen gegenüber fremden Eindringlingen. Anti-entzündlich ist der gesund-erhaltende Normalzustand, er wird durch körperliche Bewegung aufrechterhalten, jedoch durch körperliche Inaktivität geschwächt und fördert dadurch die Erkrankungsbereitschaft.
Beide Sinnesorgan-Systeme dienen dem Erkennen dessen, was gut und was nicht gut für die Erhaltung des Lebens ist, und versuchen das dem Leben Feindliche abzuwehren. Dem Letzteren versuchen Lebewesen durch Kampf oder Flucht zu entkommen, während sie dem Ersteren versuchen entgegen zu kommen, wobei das Gehirn in Form von Verstand und Vernunft eine entscheidende koordinierende Rolle spielt.
Beides ist nur durch Bewegung möglich, Bewegung aber bedeutet muskuläre Tätigkeit. Ohne Bewegung kann man sich dem für das Leben Attraktive nicht nähern, und ohne muskuläre Aktivität kann man das Leben auch nicht verteidigen oder vor der Gefahr fliehen, ganz abgesehen vom Handwerklichen des täglichen Lebens, wozu auch Waffen gehören.
Botenstoffe steuern uns
Damit jedoch attraktive Ziele oder Fluchtorte gesund und lebend erreicht werden können, bildet der beanspruchte und belastete Muskel Botenstoffe. Sogenannte Myokine, welche die beiden Sinnesorgan-Systeme stimulieren. Sie stärken nicht nur unsere mentalen und immunologischen Abwehrkräfte, sondern wirken auf die Dauer auch anti-entzündlich. Folglich ist Muskeltraining durch Ausdauer- und Kraft-Sport gesund.
Während die Botenstoffe des tätigen Muskels vorwiegend das zweite Erkennungssystem, das Immunsystem unterstützen, besitzt die erste Sinnesorgan-Gruppe eine weitere Möglichkeit, sich zu wehren und zwar mit Hilfe der Sprache: Sie kann sowohl Freunde anlocken, als auch Angreifer in die Flucht schlagen oder Freunde um Hilfe rufen oder versuchen zur Verständigung beizutragen. Diese Botschaft geht nach außen, während die Botschaft der Myokine nach innen geht.
Es gibt aber auch einen inneren Feind, dem wir durch körperliche Bewegung entfliehen oder den wir in die Flucht schlagen können: Er besteht in dem Eingeweidefett der Bauchhöhle, welches oft mit Übergewicht assoziiert ist. Die dort produzierten pro-entzündlichen Botenstoffe sind die Gegenspieler der muskulären, durch sportliche Bewegung erzeugten Myokine und machen uns krank.
Es gibt demnach zwei ganz praktikable Möglichkeiten, unser Leben auf die Dauer und gesund zu erhalten: Sinnvoll ausgewogene Ernährung und regelmäßiges sportliches Bewegungstraining. Bei der dritten Möglichkeit hilft uns das Gehirn: Das zu uns Passende erkannt und das nicht zu uns Passende nach Möglichkeit vermieden zu haben.
Dieser Artikel wurde veröffentlicht im SPIRIDON Laufmagazin 06/15
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