Corona als Sonderbelastung für Familien – eine chiropraktische Betrachtung

Ein harmonisches Miteinander, sich gegenseitig in der Krise stützen – wenn das nur immer so einfach wäre. Schon im normalen Alltag liegen manchmal die Nerven blank, und erschwerend wirkt hier sicherlich die Corona-Epidemie. So ermittelte die seit 1984 jährlich durchgeführte Untersuchung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) 2020 in einer Sonderbefragung, dass Paare mit Kindern während der Lockdown-Maßnahmen die größte Belastung empfanden. Beunruhigend ist dieses Ergebnis vor allem mit Blick auf die Vergleichswerte der Vorjahre: Vor Ausbruch der Corona-Krise waren Paare mit und ohne Kinder im Vergleich zu Alleinerziehenden und -lebenden grundsätzlich zufriedener. Was hat sich so grundsätzlich im Erleben geändert? (1)
Für alle Familien hat sich der Handlungsrahmen beim Organisieren von Arbeits- und Familienzeit stark reduziert. Viele arbeiten im Homeoffice und versuchen dabei den privaten und beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Laut einer Studie der Technischen Universität (TU) Chemnitz in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse (TK) gaben rund 60 Prozent der von zu Hause arbeitenden Befragten an, dass im Homeoffice die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben verschwimmen. Mehr als jeder Vierte (27 Prozent) empfindet das als Belastung. Ob Eltern oder Kinder, für manche ist es einfach zu viel. Studienleiter Professor Dr. Bertolt Meyer von der TU Chemnitz: „Über einen längeren Zeitraum betrachtet, fällt auf, dass sich besonders berufstätige Frauen im Homeoffice mit kleinen Kindern von der Doppelbelastung erschöpft fühlen. Die Belastungen steigen laut Studie in den Phasen von besonders starken Corona-Einschränkungen, zum Beispiel wenn Schulen und Kitas geschlossen sind. (2)
Kinderbetreuung und Arbeit unter einem Dach
Ärztin Dr. Mirriam Prieß äußerte in Interviews mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass die Corona-Pandemie das Leben der Menschen komplett auf den Kopf stelle und sie so an psychische Grenzen gelangen. Burn-Out entstehe anders als lange gedacht nicht ausschließlich durch berufliche Belastungen. Beziehungen spielen eine entscheidende Rolle, ob zum Partner, zur Familie, zum Kollegen, zum gesellschaftspolitischen System im Selbstbezug. Psychische Widerstandskraft zeichne sich über die Fähigkeit aus, den Realitäten auf Augenhöhe zu begegnen, und das Bestmögliche daraus zu machen. Dazu gehöre Respekt vor Grenzen – auch den eigenen. Ansonsten steige die Gefahr eines Burn-Outs. Typischer sei aber aktuell die wachsende Hilflosigkeit, es wird eher aggressiv und ängstlich reagiert, Betroffene beginnen zu grübeln, es kommen körperliche Symptome im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems hinzu, Rückenschmerzen, wachsende Infektanfälligkeit, Schlaflosigkeit und so weiter. Am Ende stehe die emotionale Erschöpfung – oder klassische Depression. (3, 4)
Im Mai 2020 sprach Michael Tsokos, Rechtsmediziner an der Berliner Charité, im FOCUS sogar über das Phänomen der „Corona-Suizide“, unter anderem auch in Bezug auf den Suizid des hessischen Finanzministers Ende März 2020. Er berichtete über acht Suizide zwischen März und Mai 2020, in denen die COVID-19-Pandemie und die Angst davor als zumindest mitauslösend gewertet wurde. (5)
Mehr Streit als vor der Krise
Familien funktionieren als System, ihr Zusammenwirken macht auch die Widerstandskraft des einzelnen aus. Wie sieht es also bei den Kindern und Jugendlichen aus?
Wissenschaftler*innen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) untersuchten die Auswirkungen und Folgen der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Im Sommer 2020 befragten sie über 1000 Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren und mehr als 1500 Eltern. Das Ergebnis ist deutlich: 71 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen fühlen sich belastet. Zwei Drittel von ihnen geben eine verminderte Lebensqualität und ein geringeres psychisches Wohlbefinden an. Vor Corona war dies nur bei einem Drittel der Kinder und Jugendlichen der Fall gewesen.
Für zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen waren laut der Erhebung die Schule und das Lernen anstrengender als vor Corona. Auch in den Familien verschlechterte sich die Stimmung: 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen und 37 Prozent der Eltern berichten, dass sie sich häufiger streiten als vor der Corona-Krise.
Entstressen – aber wie?
Im Grunde gilt es, da anzusetzen, wo das Problem entsteht: In der Beurteilung der Situation und der Auseinandersetzung damit. Somit rücken vorerst das verarbeitende Gehirn und dann auch die Kommunikation in den Fokus. Der Mediziner David Servan-Schreiber ist Hirnforscher und fokussiert besonders das sogenannte emotionale Gehirn, das entscheidend für die Verarbeitungsfähigkeit von Stress oder auch Depressionen sei – inklusive der dazu gehörenden körperlichen Reaktionen. Daher sei es für das „Umprogrammieren“ dieser neurologischen Verarbeitung, im Sinn einer an die Gegenwart angepassten angemesseneren Reaktion, besser und direkter über den Körper zu gehen, statt über die Sprache oder Vernunft. (6)
Hiervon sind auch wir Chiropraktiker*innen überzeugt, denn die chiropraktischen Justierungen zielen darauf ab, über gezielte Impulse das Nervensystem von Blockaden und Störungen zu befreien und die Fähigkeit des Systems so zu unterstützen, die Balance selber wieder herstellen zu können. Dabei zeigt die Erfahrung vieler Praxen, dass eine Behandlung der ganzen Familie und nicht nur einzelner Mitglieder dabei unterstützend wirkt, auch das Miteinander zu stärken und so die Resilienz in Krisenzeiten zu erhöhen.
Quellen:
1. https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-10/einsamkeit-lockdown-psychische-gesundheit-wohlbefinden-soep-studie?utm_referrer=https%3A%2F%2Fmagazin.sofatutor.com%2F
2. https://www.tk.de/presse/themen/praevention/gesundheitsstudien/belastungen-der-menschen-waehrend-der-corona-pandemie-2095246
3. https://www.rnd.de/gesundheit/lockdown-und-psyche-arztin-rat-das-beste-aus-dem-moglichen-machen-AG64A6ZDURCBTI6ZFRWDUMIGHI.html
4. https://www.rnd.de/gesundheit/homeoffice-und-kinderbetreuung-interview-mit-psychologin-mirriam-priess-uber-burnout-HL7JQG4B2ZGTFEMRWXEZXJ2EYI.html
5. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7652050/
6. https://www.zeitpunkt.ch/fileadmin/download/ZP_97/97_8-11-Servan.pdf