
Unsere schöne neue Welt der permanenten Verfügbarkeit von Bildschirmen hat auch Schattenseiten. Zum einen können wir schnell im Alltag die Fahrtdauer zur Arbeit prüfen, uns köstlich über Memes amüsieren und Freundschaften auf der ganzen Welt in Echtzeit pflegen. Zum anderen entstehen ganz neue Herausforderungen an unser Körper-Hirn-System. Was dabei für Erholungsphasen und besonders Schlaf zu berücksichtigen ist, wurde schon beleuchtet. Dieser Artikel listet einige körperliche und neurologische Problemstellungen auf und untersucht die Frage, wie die Chiropraktik darauf blickt.
Um eines vorwegzunehmen: Die informativen und sozialen Potenziale von Smartphones und Co. sind großartig. Mit lieben Menschen in der Ferne Kontakt zu halten, war noch nie so einfach. Sich mal eben über ein spannendes Thema zu informieren, nur ein Fingerdruck entfernt. Wie bei allen guten Dingen liegt darin leider aber auch eine Versuchung. Schon 2015 ergab eine Studie der Universität Bonn, dass Smartphone-Besitzer*innen durchschnittlich alle 18 Minuten ihre Tätigkeiten für das Smartphone unterbrechen.1 In der wachen Zeit wäre das etwa 53 Mal pro Tag.
Im gleichen Jahr schlossen sich alle Einwohner*innen der französischen Stadt Martignas-sur-Jalle u.a. mit Wissenschaftler*innen der Universität Bordeaux zusammen, um die verschiedenen Formen des problematischen und harmlosen Bildschirmkonsums in der gesamten Stadt zu untersuchen. Das Ergebnis zeigte, dass fast 45 Prozent der Bevölkerung mit bildschirmbezogenen Problemen zu kämpfen hat. Forscher*innen haben dabei einen Zusammenhang zwischen übermäßiger Bildschirmzeit – insbesondere bei der Nutzung von Smartphones – und Aufmerksamkeitsdefiziten, Verhaltensproblemen, Schlafstörungen, beeinträchtigten sozialen Fähigkeiten, Einsamkeit, Angst und Depressionen festgestellt.
Zudem zeigen neuere Untersuchungen, dass die mit Smartphones verbrachte Zeit laufend zunimmt. Laut einer Studie aus 2021 stieg die Stundenzahl, die Deutsche am Handy verbringen, bis 2021 kontinuierlich auf durchschnittlich 3,4 Stunden pro Tag. Fast eine Stunde mehr als vor dem Fernseher.2 Eine weitere Untersuchung zeigte, dass amerikanische Erwachsene ihre Smartphones mehr als 2.500 Mal am Tag berühren.3 Das bleibt auch für den Körper nicht ohne Konsequenzen.
Handynacken und mehr
Schon mal was vom Smartphone Pinky gehört? Dieser massenhaft durch die sozialen Medien geisternde Begriff beschreibt eine Veränderung der Gelenkausrichtung des kleinen Fingers. Sie entsteht, wenn dieser viel genutzt wird, um das Smartphone zu stützen. Und das ist mehr als eine seltene Kuriosität.4
Jede Hand besteht aus 27 Knochen, 35 Muskeln und über 100 Sehnen, die Knochen und Muskeln miteinander verbinden. Permanent wiederholte Bewegungen können Sehnen ermüden, was zu einer Abnutzung der Sehne sowie zu Schmerzen und Entzündungen führt. Dies wird als Tendinitis bezeichnet. In diesem Sinn gilt der Smartphone-Finger als eine echte Erkrankung, die unbehandelt zu ernsthaften Schäden an den Sehnen führen kann.
Ein weiteres Phänomen ist der sogenannte Handynacken. In Deutschland gilt er schon als regelrechte Volkskrankheit.5 Der lange Zeit nach unten geneigte Kopf ist dabei in der Regel Kräften von über 20 Kilogramm ausgesetzt. Speziell die Halswirbelsäule wird dabei erheblich strapaziert, Sehnen und Muskeln überlastet. Das kann zu chronischen Verspannungen, Kopfschmerzen und Rückenleiden führen.
Wissenschaftler David Shahar und sein Team von der australischen University of the Sunshine Coast haben noch beunruhigendere Hinweise gefunden. Offensichtlich verändern sich sogar die Schädelknochen und bilden am Hinterkopf einen Dorn aus.6 Besonders häufig war das bei den 18 bis 30-jährigen Proband*innen nachweisbar (41 Prozent). Als Ursache sieht Shatar die Körperhaltung beim Blick auf ein Display. Der stärkere Zug der Muskeln führe zur Bildung zusätzlicher Knochenschichten. Deren Auswirkung auf die muskuloskelettale Gesundheit sei unklar, aber besorgniserregend.
Neurologie der visuellen Reize
Übelkeit, okulomotorische Probleme und allgemeine Desorientierung – so zeigt sich die sogenannte Cybersickness. Okulomotorische Symptome wie Überanstrengung der Augen, Müdigkeit und Kopfschmerzen sind auf eine Überlastung des Nervs zurückzuführen, der die Augenbewegungen steuert. Desorientierung kann sich als Schwindel und Übelkeit äußern, ähnlich wie bei der Reisekrankheit. Die vorherrschende Theorie des sensorischen Konflikts geht davon aus, dass es sich dabei um ein Missverhältnis zwischen den Informationen handelt, die von den Teilen des Körpers wahrgenommen werden, die für das Sehen und das Gleichgewicht zuständig sind. Dabei übermitteln die Augen dem Gehirn Informationen, die ihm sagen, dass eine Bewegung stattfindet, obwohl der Körper stillsteht.
Cybersickness-Symptome sind in der Regel bei virtueller und erweiterter Realität stärker ausgeprägt. Dazu gehören z.B. kopfgetragene Geräte oder einfach Smartphones, die virtuelle Inhalte in den Raum projizieren, den man immer noch sehen kann. Symptome wie starke Kopfschmerzen, Überanstrengung der Augen oder Schwindel beeinträchtigen dann die Koordination und Aufmerksamkeit. Und diese Nebenwirkungen können nachweislich bis zu 24 Stunden anhalten. Damit können sie auch zu Arbeits- oder Autounfällen führen.
Mehr als eine schlechte Angewohnheit
Wenn so viel dagegenspricht, warum nutzen wir Smartphones dann so gerne? Forschende haben gezeigt, dass die Smartphone-Nutzung viele der Signalwege im Gehirn auslöst, die mit Belohnung und Wohlbefinden zu tun haben. Auch das sogenannte Glückshormon Dopamin wird verstärkt ausgeschüttet. Dies kann dazu führen, dass wir von unserem Handy ebenso abhängig werden wie von Rauschsubstanzen. Zu den Symptomen einer echten Smartphone-Sucht zählen Schlafunterbrechungen, Schwierigkeiten bei der Erledigung von Aufgaben, Isolation von anderen Menschen und das Lügen über die Intensität der Smartphone-Nutzung. Das geht bis hin zur Nomophobie – der Angst, ohne Mobiltelefon zu sein.7
Erschreckend ist dabei auch der Gedanke, dass Eltern, indem sie ihre eigene Handynutzung nicht einschränken, ihren Kindern unwissentlich die Abhängigkeit mit antrainieren. John Hutton, ein Kinderarzt, der die Auswirkungen der Handynutzung erforscht, hat herausgefunden, dass etwa 90 Prozent der US-Babys vor ihrem ersten Geburtstag mit Bildschirmen in Berührung kommen und dass es nicht ungewöhnlich ist, dass zwei oder drei Monate alte Kinder regelmäßig auf das Handy schauen.8
Verhalten verstehen, korrigieren und Änderungen unterstützent
Natürlich klingt die Forderung jetzt leicht, einfach weniger Zeit mit dem Smartphone zu verbringen. So sinnvoll das ist, jede Verhaltensänderung, speziell wenn das Belohnungssystem im Gehirn mitspielt, stellt eine echte Herausforderung dar. Jede*r weiß aus eigener Betrachtung, dass schlechten Angewohnheiten rein faktenbasiert nicht beizukommen ist.
Veränderungen in der Art und Weise, wie das Gehirn Informationen verarbeitet und Situationen bewertet, setzt Neuroplastizität voraus. Chiropraktische Justierungen können die Neuroplastizität verbessern und auch den Stress in der präfrontalen Gehirnfunktion reduzieren. Damit entsteht mehr Raum für überlegte und gesunde Entscheidungen.9 Denn die Selbststeuerungsoptionen von Gehirn und Körper zu optimieren, ist das große Ziel der Amerikanischen Chiropraktik. Dafür werden alle Gesundheitsbereiche berücksichtigt – einschließlich der Gewohnheiten. Jeder Aspekt der Lebensführung ist wichtig, um persönliche Zielsetzungen erreichbarer werden zu lassen. Auch wenn es darum geht, weniger Zeit am Handy zu verbringen – selbstfürsorgend sowie vorbildlich.