Im bekannten Märchen „Schneewittchen“ sucht die eitle Königin stets nach Bestätigung ihrer Schönheit. Jedes Mal fragt sie den Spiegel: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Diese Besessenheit von ihrem Erscheinungsbild lässt sie in einem verzerrten Selbstbild gefangen sein. Aber auch in der heutigen Welt, inmitten von durchgestylten Instagram-Feeds und perfekten „Woke up like this“-Posts, können sich viele von uns mit dem Streben nach Perfektion und einem unerreichbaren Schönheitsideal identifizieren. Wie können wir also alte Muster durchbrechen? Und was hat die Amerikanische Chiropraktik damit zu tun?
Für viele beginnt die Unsicherheit bezüglich des eigenen Aussehens schon in der Grundschule. Eine große deutsche Jugendstudie belegt: Mehr als 40 Prozent der Mädchen und 30 Prozent der Jungen finden sich zu dick. In einer Umfrage aus dem Jahr 2018 gab jeder Dritte von 1.000 Befragten in Deutschland an, mit dem eigenen Aussehen unzufrieden zu sein.1 Schuld daran sind tief verwurzelte Vorstellungen, die eng mit dem hedonischen System unseres Gehirns verknüpft sind, das Schönheit nach bestimmten Kriterien bewertet. Diese grundlegenden Selbstzweifel verursachen Stress. Und der führt nachweislich zu weiteren körperlichen Reaktionen, wie zum Beispiel einer Erhöhung des Cortisolspiegels, der Herzfrequenz und des Blutdrucks.
Es lohnt sich also, einen liebevollen Umgang mit dem eigenen Aussehen zu lernen. Denn das führt automatisch zu mehr Wohlbefinden, besserem Schlaf und einem gesunden Stressmanagement. Ein positives Körperbild mag oft in weiter Ferne liegen – zumal das Aufbrechen alter Denkmuster nicht nur Zeit, sondern auch Geduld erfordert. Aber unser Gehirn ist plastisch, also anpassungsfähig – auch chiropraktisch gesehen.
Einfluss von Normen und Schönheitsidealen auf uns
Kein Körperbild setzt sich objektiv aus Körpergewicht oder Körpergröße zusammen. Es ist stets ein komplexes psychologisches Konstrukt2, das verschiedene Dimensionen umfasst:
- die kognitive Dimension (wie wir über unseren Körper denken)
- die affektive Dimension (wie wir uns in Bezug auf unseren Körper fühlen)
- die perzeptive Dimension (wie wir unseren Körper sehen)
- die Verhaltensdimension (wie wir uns in Bezug auf unseren Körper verhalten)
Geprägt wird dieses Bild bereits in der Kindheit und verändert sich im Laufe des Lebens aufgrund verschiedener innerer und äußerer Faktoren.3 Diese können sozialer, kultureller oder medialer Natur sein. So haben z.B. gesellschaftliche Schönheitsideale, das Verhalten früherer Bezugspersonen, Kommentare von Gleichaltrigen und natürlich persönliche Eigenschaften wie Perfektionismus oder ein geringes Selbstwertgefühl wesentlichen Einfluss.1 Den größten, meist negativen Beitrag zum eigenen Körperbild haben heutzutage aber wohl die sozialen Medien – sozusagen als fragwürdiges Spieglein in der Hand. So konnte in Forschungsergebnissen gezeigt werden, dass der soziale Vergleich in diesen Medien häufig zu einem negativen, fehlgeleiteten Körperbild führt. Denn Bilder in sozialen Medien sind oft bearbeitete und abstrahierte Versionen der Realität.4
So schätzen sich die meisten Menschen fülliger ein, als sie tatsächlich sind – vor allem Frauen. Dadurch leiden sie auch unter einem geringeren Selbstwertgefühl. Ein britisches Forscherteam konnte mit einem ausgeklügelten Verfahren zeigen, dass das mentale Körperbild von Menschen eng mit ihrem Selbstwertgefühl zusammenhängt. Die Studie zeigte, dass mentale Körperbilder stark persönlichkeitsgeprägt verfälscht und dabei unabhängig vom tatsächlichen Aussehen sind.4,5
Ein negatives Körperbild kann sich durch Stress, gestörtes Essverhalten und exzessives Sporttreiben auf die eigene Gesundheit auswirken. Vor allem bei Jugendlichen besteht laut den Forschenden ein Zusammenhang mit Drogenmissbrauch. Auch das Liebesleben leidet: Wer sich unsicher fühlt, geht weniger aus, wohingegen selbstbewusste Menschen mehr wagen und gesünder leben. Diese Ergebnisse decken sich mit anderen Studien, die Scham und Unbehagen gegenüber dem eigenen Körper untersuchen. Im schlimmsten Fall kann sich die Unzufriedenheit zu tiefer Angst und Depression entwickeln.1
Dieses negative Körperbild durch „Fat Shaming“ in Form von eigentlich gut gemeinter Motivation noch zu fördern, ist nach Ansicht von Expert*innen nicht zielführend.6 So führe die Motivation von Menschen hin zu einem gesünderen Lebensstil laut Studien vielmehr zu einer Stigmatisierung, fördere Stressessen und senke die Motivation zu körperlicher Aktivität. Stattdessen sei Selbstakzeptanz ein Weg, der langfristig zu einem gesünderen Leben führen könne.7
Nicht unterkriegen lassen – vor allem nicht von sich selbst
Die bereits in den 1960er Jahren in diesem Sinn entstandene Body-Positivity-Bewegung setzt sich für die Anerkennung und Wertschätzung der Vielfalt von Körpern ein – unabhängig von gängigen Schönheitsidealen. Dabei geht es nicht nur um das Gewicht, sondern auch um andere vermeintliche Makel wie Falten, Narben, Kahlköpfigkeit oder starke Behaarung. Eine Forschungsgruppe aus England und Australien hat die Wirkung von Bildern der Body-Positivity-Bewegung auf junge Frauen untersucht. Das Ergebnis zeigte, dass das Betrachten von Body-Positivity-Posts die Stimmung verbesserte und zu einer positiveren Wahrnehmung des eigenen Körpers führte.8
Den eigenen Körper mit Wohlwollen betrachten, akzeptieren, vielleicht sogar lieben. Das ist leichter gesagt als getan und geschieht in vielen Schritten:
- Dankbarkeit für die Funktion, Gesundheit und Einzigartigkeit des Körpers
- Akzeptanz von Aspekten des Körpers, die nicht idealisierten Medienbildern entsprechen
- Wahrnehmung von Schönheit auf der Grundlage vielfältiger Erscheinungsformen und innerer Merkmale
- Befriedigung der Bedürfnisse des Körpers durch Bewegung, Schlaf, Flüssigkeitszufuhr etc.
- Inneres Schönheitsempfinden, das sich auf das äußere Erscheinungsbild und Verhalten auswirkt (z.B. Freundlichkeit, Achtsamkeit)
- Ablehnung negativer körperbezogener Informationen und Annahme positiver Informationen9
Menschen mit einem positiven Körperbild können besser mit Problemen und Stressoren umgehen, haben ein besseres Immunsystem und erleben mehr angenehme Emotionen.
Indem wir unserem Gehirn immer wieder neue Impulse geben, können wir alte, verzerrte Selbstbilder überschreiben – auch wenn der Weg dorthin anstrengend sein kann.
Verschiedene Ansätze ermöglichen die Auseinandersetzung mit selbstabwertenden Gedanken durch bewusste Wahrnehmung, kritisches Hinterfragen und emotionale Distanzierung. Auch die Chiropraktik kann dazu ihren Beitrag leisten, indem sie die gezielte sensorische Stimulation an den Rezeptoren rund um die Wirbelsäule nutzt und so positive Inputs in unseren Denkprozess integriert. Begleitet werden kann dies durch die im Rahmen der chiropraktischen Behandlung induzierte Endorphinausschüttung als kurzes Glücksgefühl, das auf langfristige Zufriedenheit abzielt.
Gleichzeitig ist es wichtig, ein neues Bewusstsein zu schaffen und eine gesunde Selbstwahrnehmung als neue Normalität zu etablieren. Auf diesem Weg können wir lernen, liebevoll mit uns umzugehen und unser Körperbild mit der Realität in Einklang zu bringen. Indem wir die neuroplastischen Eigenschaften unseres Gehirns nutzen und uns von unrealistischen Schönheitsidealen lösen, schaffen wir Raum für ein authentisches und positives Körperbild.1